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Martin Bonhoeffer in der Kritik

Bis im Jahr 2020 lautete der Name unserer Einrichtung Martin-Bonhoeffer-Häuser.

Martin Bonhoeffer, war in den Jahren 1976 bis 1982 der erste Leiter unserer Einrichtung. Im Dezember 1982 erlitt er einen Herzinfarkt, von dem er sich nicht wieder erholte. Im Wach-Koma lebte er bis 5. April 1989 in Tübinger Kliniken. Nach seinem Tod 1989 wurde von der damaligen Mitgliederversammlung in Anerkennung seiner Leistungen in Tübingen, aber auch für sein bundesweites Engagement für eine Reform der Heimerziehung die Einrichtung nach ihm benannt. Viele der Reformideen der 1970-er Jahre sind auch heute noch grundlegend für die Angebote und die Struktur unserer Einrichtung.

Martin Bonhoeffer ist posthum seit 2010 wiederkehrenden Vorwürfen ausgesetzt. Im Mittelpunkt steht seine enge Freundschaft zu Gerold Becker, dem ehemaligen Leiter der Odenwaldschule. Die Vorwürfe kreisen um eine mögliche Mitwisserschaft oder Verleugnung der Vorfälle sexuellen Missbrauchs an der Odenwaldschule. Auch der Vorwurf einer direkten Täterschaft wurde in einem Artikel des STERN im Jahr 2010 erhoben.

Der Aufruf auf unserer Homepage, in dem wir Personen, die zur Aufklärung beitragen können, um Kontaktaufnahme mit uns bitten, führte zu vielen, teils sehr persönlichen Gesprächen zur Geschichte unserer Einrichtung und auch zur Person Martin Bonhoeffers - eine Bestätigung des Vorwurfs oder andere Hinweise auf pädagogisches Fehlverhalten gab es auf diesem Wege bislang nicht.

Anfang 2018 wurden wir durch weitere Forschungen im Umfeld der Odenwaldschule erneut mit Anschuldigungen gegen Martin Bonhoeffer konfrontiert, die – so der weitest gehende Vorwurf – Martin Bonhoeffer als Teil eines die Gewalttaten ermöglichenden Systems beschreiben. Allerdings bleibt auch in diesen Forschungen offen, ob Martin Bonhoeffer vom Missbrauchssystem an der Odenwaldschule tatsächlich gewusst hat.

Die Vorwürfe haben unseren Verein in den letzten Jahren sehr beschäftigt. Nach unserer Überzeugung sind Abhängigkeits- und Machtverhältnisse in pädagogischen Beziehungen ein Thema, das es verantwortungsvoll aufzugreifen und zu reflektieren gilt und bei dem wir als Institution entschieden handeln und uns stets kritisch prüfen lassen wollen. Dieser Aufgabe stellen wir uns kontinuierlich im Heute und Hier, indem wir unsere pädagogische Arbeit professionell gestalten: transparente interne und externe Beteiligungs- und Beschwerdewege für die von uns begleiteten Kinder und Jugendlichen, demokratische Grundstrukturen, Reflexion und Kritik im Team sowie der externe Blick durch Supervision, Leitung, Fachberatung und Fort-/Weiterbildung bilden dazu wichtige Grundlagen, die wir ständig weiterentwickeln.

Nach einem intensiven Diskussionsprozess in der Mitgliederversammlung und in der Mitarbeiter*innenschaft wurde Ende 2018 beschlossen, die neuerlichen Vorwürfe mit Hilfe einer externen Forschungsarbeit vertiefend zu untersuchen. Der Verein hat dazu das sozialwissenschaftliche „Institut für Praxisforschung und Praxisberatung“ (IPP) in München um Prof. Dr. Heiner Keupp, Helga Dill und Dr. Florian Straus beauftragt (www.ipp-muenchen.de). Die Studie mit dem Arbeitstitel „Pädagogische Nähe und mögliche sexuelle Grenzverletzungen“ beschäftigt sich mit den Jahren 1976 bis 1982, in denen Martin Bonhoeffer die Leitung und den Aufbau der Einrichtung in Tübingen übernommen hatte. Die Forschung startete im September 2019 und soll bis Anfang 2022 abgeschlossen sein.

Dieser kritische und selbstkritische Blick in die eigene Geschichte ist uns wichtig. Mitgliederversammlung und Mitarbeiter*innenschaft war es aber ebenso wichtig, dass die Einrichtung in die Zukunft gerichtet ihre Energie für die Weiterentwicklung als innovative und fachlich gut aufgestellte Jugendhilfeeinrichtung nutzen kann. Nach eingehender Diskussion wurde von der Mitgliederversammlung im Dezember 2018 beschlossen, einen Prozess zu starten, an dessen Ende ein neuer Name für die Einrichtung stehen soll. Dieser Prozess wurde mit der Namensänderung am 1.10.2020 abgeschlossen.

Die Namensänderung bedeutet für unsere Einrichtung eine große Zäsur. Das Lernen aus der Geschichte ist für uns damit aber nicht abgeschlossen. Weiterhin sind wir sehr an Aufklärung im Hinblick auf die oben genannten Vorwürfe interessiert. Wir bekräftigen und erweitern deshalb an dieser Stelle unseren seit 2010 geschalteten Aufruf:

Sollten Sie in unserer Einrichtung Erfahrungen gemacht haben, die Ihnen Leid und Schmerz zugefügt haben, dann melden Sie sich bitte bei uns. Sollten uns konkrete Hinweise von Fehlverhalten bekannt werden, werden wir diesen gewissenhaft nachgehen. Als Ansprechpartner steht Ihnen Herr Hamberger, Gesamtleiter der Einrichtung, zur Verfügung. Sie können sich in unserer Geschäftsstelle unter der Telefonnummer 07071/5671-0 melden. Herr Hamberger ruft Sie dann gerne zurück. Selbstverständlich erreichen Sie uns auch per E-Mail.

Für die laufende Studie des IPP sucht das Team der Forscher*innen Zeitzeug*innen, die die Jahre 1976 bis 1982 ff. unter der Leitung von Martin Bonhoeffer unmittelbar miterlebt haben – als betreute Jugendliche, Mitarbeiter*innen oder Kooperationspartner*innen. Gerne dürfen Sie sich dafür direkt an das Team des IPP in München wenden: 

Tel.: 089/54359770
Frau Dill/ Herr Hackenschmied
info@ipp-muenchen.de
mit dem Betreff „Tübingen“